2022-03 Clusterwohnungen, Co-Living und Groß-WGs – aktuelle Randerscheinungen oder kostengünstige und variablere städtische Alternativen zu konventionellen großen Mietwohnungen?
Abschlussarbeit zum Immobilien-Ökonom (GdW) bei Roland Keich / Prof. Dr.-Ing. Arch. Philip Engelhardt
BR-WS20-HH an der EBZ Business School, University of Applied Sciences, Bochum
Hamburg 21. März 2022
Einleitung
Den Anlass für diese Untersuchung bildete meine private Feststellung, dass aktuell auf dem Wohnungsmarkt in der Metropolregion Hamburg kaum bezahlbare Angebote für größere Familien oder allgemein größere Wohnungen vorhanden sind.
Obwohl spätestens ausgelöst durch die Flüchtlingskrise 2015 eine erhöhte Nachfrage nach diesem Wohnungstyp aufgrund Familiennachzugs besteht, reagiert die Wohnungswirtschaft bislang kaum auf diesen Bedarf.
Auf meine Anfrage ergab eine Auskunft der Lawetz-wohnen & leben GmbH in Hamburg vom 18.01.2022, dass momentan über 60 wohnungssuchende 5-Personen-Haushalte mit Dringlichkeitsbestätigungen registriert waren, wovon im vergangenen Jahr nur 4 5-Personen-Haushalte direkt vermittelt werden konnten. Weitere 23 konnten nach Beratung selbst eine passende Wohnung finden. Für 6-Personen-Haushalte und größer sind aktuell mehr als 40 Gesuche registriert. 2021 konnten 3 entsprechende Wohnungen vermittelt werden, weitere 14 Haushalte konnten nach Unterstützung selbstständig einen bezahlbaren Mietvertrag abschließen.
Auf Nachfrage wurde auf Vermieterseite das geringe Interesse an einer Ausweitung des entsprechenden Angebotes damit begründet, dass große Wohnungen überwiegend von “eher sozialschwachen Familien” nachgefragt werden, die „schwierige“ Mietenden und eine potentielle Gefährdung des sozialen Friedens im engeren Quartier darstellen.
Daraus ergab sich die Fragestellung für den ersten Teilaspekt dieser Hausarbeit: wie können große Wohnungen konzipiert werden, um auch veränderte Wohnumstände wie Familienzuwachs, Trennungen, Auszug erwachsener Kinder, Trends zu Co-Living oder alternativen sozialen Gemeinschaften (Ersatz für Familien, Dorfgemeinschaften) mit geringem Änderungsaufwand zu ermöglichen? Eine derartige Variabilität würde Wohnungsunternehmen die Sicherheit geben, Angebote für den heute bestehenden Nachfrageüberhang machen zu können, ohne dabei auf den Nutzertyp Großfamilie festgelegt zu sein.
Können dazu neue Wohnformkonzepte wie Clusterwohnungen und Großwohngemeinschaften einen Lösungsansatz darstellen? Erfüllen Sie bereits die vorgenannten Anforderungen an Variabilität und ermöglichen Sie veränderte Lebensumstände? Falls nicht, wie können Sie in dieser Hinsicht weiterentwickelt werden?
Über den Aspekt Familienwohnungen hinaus stellen Kombinationen aus Wohnungsclustern und Großwohngemeinschaften eine Weiterentwicklung des klassischen Studierenden-WG-Typus als Alternative zu kleinen Einzelwohnung dar, ermöglichen neben der Befriedigung des Grundbedürfnisses Wohnen gleichzeitig bessere und vielfältigere soziale Kontakte. Außerdem können sie eine attraktive Lösung für den zunehmenden Bedarf an kostengünstigen, bezahlbaren Wohnungen in Ballungsgebieten darstellen, da ihr Wohnflächenbedarf in m2 Wohnfläche / Wohnendem auch bei großzügig dimensionierten Gemeinschaftsflächen geringer als bei 1- oder 2-Personenhaushalten ausfällt.
Bedingt durch die – auch in Deutschland – fortschreitende Digitalisierung entstehen neue Wohnbedürfnisse und Arbeitsformen wie die der sogenannten „digital nomads”, die prinzipiell ortsungebunden arbeiten können und auftragsbedingt nur kurzfristigere Wohnverhältnisse mit geringem Platzbedarf benötigen. Sie bilden eine weitere Interessengruppe für die genannten neuen Wohnkombinationen.
Ob sie nur eine kurzfristige Renaissance des temporären WG-Gedankens darstellen oder es bei entsprechenden sozialen und rechtlichen Vereinbarungen möglich ist, auch langfristig harmonische Gemeinschaften zu erzeugen, soll im zweiten Teil dieser Arbeit anhand einer Untersuchung ausgewählter Beispiele von großen Wohnformen betrachtet werden.
……..
Erkenntnisgewinne – Verbesserungs- und Lösungsansätze
Vor der Beschäftigung mit dieser Hausarbeit war das Thema gemeinschaftliches Wohnen für mich gleichbedeutend mit der Wohnform Studierenden-WG, etwas, das man nach dem Auszug aus dem Elternhaus gern ausprobiert, dann aber schnell feststellt, dass ein Zusammenleben mit bisher unbekannten Personen auf engem Raum zu ungeahnten Konflikten führt und die Diskussionsfähigkeiten rapide schult, Beispiel „WG-Abwasch“. Die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Mitbewohnenden wiegen auf Dauer schwerer als der kostengünstige Wohnraum. Gemeinschaften, die längerfristig und auch über das Studium hinaus Bestand haben, sind mir nicht bekannt.
Auf der anderen Seite zeigen die Ergebnisse des vorausgegangenen Kapitels zu aktuellen und künftig prognostizierten demografischen Entwicklungen, dass die Wohnungsnachfragenden zunehmend vereinzelter, individueller und älter werden und es künftig zunehmend geringere und unsichere Einkommensverhältnisse bei steigenden Bau- und Mietkosten geben wird. Für einen großen Teil der Bevölkerung wird es nicht mehr möglich sein, Wohnflächen in der jetzt gewohnten Größe mieten zu können.
Aus ökonomischer Sicht müssen daher Alternativen mit geringerem Flächenverbrauch pro Kopf gefunden werden, die die genannten Nachteile der genannten Studierenden-WGs im zwischenmenschlichen Bereich vermeiden können.
Als Ergebnis der Analysen verschiedener neuartiger Wohnformen im letzten Kapitel lässt sich festhalten, dass auf dem existierenden Wohnungsmarkt bereits zwei Grundformen gemeinschaftlichen Wohnens, zumindest in Einzelfällen, vorhanden sind, die gute Lösungen für die genannten Fragen bereitstellen.
Für einheitlich homogene Nutzergruppen stellen die Wohnformen Variowohnen, Co-Living sinnvolle und kostengünstige Alternativen dar. Sie werden vorwiegend aus kommerziellen Gründen errichtet und bieten preisgünstige Wohnangebote durch Reduzierung der individuellen Wohnfläche auf eigene kombinierte Schlaf- und Arbeitsräume mit individuellen Bädern und teilweise auch kleinen Kochnischen, lagern aber das eigentliche Wohnen in für alle zugängliche Gemeinschaftsbereiche aus und reduzieren somit den Wohnflächenbedarf pro Person auf ein Minimum. Im Vordergrund steht die Individualität der eigenen Wohneinheit durch Ausstattung mit eigenen Nassbereichen, die Gemeinschaftsflächen sind teilweise auf einen gemeinsamen Koch-, Ess- und Wohnbereich sowie ergänzende Serviceangebote reduziert.
Durch Addition gleicher Raumeinheiten mit wenigen ergänzenden Sonderbereiche können serielle Fertigungsmethoden angewandt werden, die zu einer Senkung der Baukosten führen.
Der Nachteil dieser Wohnform besteht in der nicht oder nur sehr eingeschränkt vorhandenen Fähigkeit, auf veränderte Lebenssituationen wie Partnerschaften, Familiengründungen etc. mit räumlichen Veränderungen innerhalb der gewohnten Umgebung reagieren zu können.
Auf der anderen Seite richtet sich diese Wohnform vor allem an Gruppen mit geringerem Einkommen wie Auszubildende und Studierende sowie Berufstätige mit wechselnden Arbeitsorten, die nur für einen überschaubaren Zeitraum diese Wohnform nutzen möchten, oder ältere Menschen, ein tatsächlicher Änderungsbedarf während der Nutzungsdauer kann daher weitgehend ausgeschlossen werden.
Es handelt sich somit um eine geschlossene Wohnform, die für die kein Bedarf an variablen Raumkonzepten benötigt wird, da auf eine ausbleibende Nachfrage gut mit einer Belegung durch andere Zielgruppen reagiert werden kann.
Das Veränderungspotential stellt den großen Vorteil der zweiten Gruppe, Clusterwohnungen und Groß-WGs, dar. Durch das geschachtelte Prinzip individueller, unterschiedlich großer Privateinheiten innerhalb einer übergeordneten größeren Gesamtwohnung ergeben sich beispielsweise durch einen Tausch von Clustern deutlich bessere Reaktionsmöglichkeiten auf Veränderungen der Lebensverhältnisse. Auch innerhalb einer einzelnen Einheit oder Einheitenkombinationen können durch vorbereitete Anschlussmöglichkeiten und Regeldurchbrüche Räume geteilt oder eine Clusteraufteilung verändert werden.
Bei dieser Gruppe von Wohngemeinschaften steht bisher der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund. Die realisierten Projekte wurden überwiegend von Wohngenossenschaften initiiert, die sich vorab zu diesem Zweck gegründet hatten oder sich im Anschluss an erfolgreiche Erstprojekte an weiteren Ausschreibungen dieser Art beteiligt hatten. In allen Fällen wird eine heterogene, auch generationenübergreifende Zusammensetzung mit gegenseitiger Unterstützung angestrebt. Dies bietet insbesondere älteren Personen den Vorteil, im Austausch mit jüngeren Personen zu bleiben, Betreuungsaufgaben für Kinder zu übernehmen und gleichzeitig Unterstützung im Alltag zu bekommen. Wie Befragungen der BauFi24-Gruppe zeigen, wird diese Möglichkeit als häufigster Grund für gemeinschaftliches Wohnen genannt, überproportional von der Gruppe der 50-69-Jährigen[1].
Diese Großwohnformen bieten aus meiner Sicht auch eine sehr gute Lösung für die im Vorwort geschilderte Problematik, dass auf dem Wohnungsmarkt zu wenig Wohnungen für größere Familien angeboten werden. Wenn durch die Größe und Zusammensetzung der Gemeinschaft sichergestellt ist, dass nicht einzelne Personen oder Einzelparteien die Wohngruppe dominieren können, kann beispielsweise Großfamilien mit migrantischem Hintergrund durch das alltägliche Zusammenleben die Eingewöhnung in die neue Umgebung erleichtert und zwanglose Kontakte auch außerhalb der eigenen Community „in der Fremde“ ermöglicht werden.
Fast alle größeren Clusterwohnprojekte und Groß-WGs sind aus Privatinitiativen entstanden, die sich zu Genossenschaften zusammengeschlossen und mit fachlicher Unterstützung individuelle Wohnkonzepte, zugeschnitten auf die speziellen Interessen der Beteiligten, entwickelt haben.
Um dieses Modell auf Bauvorhaben von Wohnungsbaugesellschaften und privaten Investoren ohne bereits bekannte Nutzende übertragen zu können, müssen zunächst Wunschgemeinschaften aus soziologischer Sicht definiert werden, die für möglichst viele Interessentengruppe interessant sind, die Hemmschwelle zum Teilen der eigenen Privatsphäre herabsetzen und zur Bereicherung des alltäglichen Lebens beitragen können. Mögliche Kombinationen wären zum Beispiel entsprechend den in Kapitel 1 genannten Hausgemeinschaften klassische Familieneinheiten kombiniert mit Clustern für Alleinerziehende mit Kindern und eine weitere Einheit für ältere Menschen, die bei der Kinderbetreuung unterstützen und damit auch ohne klassische Familienstrukturen generationsübergreifendes Wohnen leben können.
Ob sich diese Wohnformen der zweiten Gruppe, die bislang noch eine Nischenerscheinung bilden, längerfristig am Wohnungsmarkt durchsetzen können, hängt zum einen von der allgemeinen ökonomischen Entwicklung ab. Da pro Person weniger Wohnfläche benötigt wird, stellen sie grundsätzlich preislich attraktive Alternativen zu konventionellen Wohnungen dar.
Eingeschränkt gilt dies für kleinere Clusterwohnungen, wie zum Beispiel von der IFB gefördert. Durch die Begrenzung auf 4 – 6 Personen mit individuellen Nassbereichen und vergleichsweise geringen Gemeinschaftsflächen ermöglichen sie kaum Flächeneinsparungen gegenüber konventionellen größeren Wohnungen. Sie besitzen einen höheren Steigeschachtanteil als Groß-WGs und sind damit in der Herstellung teurer als andere Großwohnformen. Ihr Vorteil liegt daher vor allem in der Belegungsvariabilität.
…….
Argumentationshilfen für gemeinschaft-liche Wohnprojekte
Abschließend kurz in Stichwortform zusammengefasst die wichtigsten Argumente, gemeinschaftliche Wohnformen als Teil von Neubauplanungen experimentell zu erproben:
Diversifizierung des Wohnungsbestandes für eine resilientere Stadtentwicklung
(Fähigkeit eines komplexen Systems, trotz massiver externer oder interner Veränderungen wieder in den Ausgangszustand zurückzukehren oder sogar ein verbessertes Systemverhalten zu erzeugen)
Erweiterung des eigenen Angebotsportfolios für künftig vielfältigere Lebensmodelle (Patchwork Familien, mehrere Alleinerziehende, generationenübergreifendes Wohnen, kostengünstige Wohnangebote in Metropolregionen, …)
Grundrisstypen, die sowohl als Clusterwohnungsgruppe als auch mit geringem Umbauaufwand als getrennte klassische Wohnungen funktionieren, sichern gegen ein Scheitern dieser neuen, experimentellen Wohnformen ab
breite Erschließungsmittelzonen erleichtern alternativ eine Umnutzung zu Büroflächen und stellen dann ideale Begegnungsflächen dar
Eine Zuschaltung von Zusatzräume außerhalb der eigentlichen Wohnungen wie temporär nutzbare Flex- oder Gästezimmer ermöglicht es, kurzfristig und ohne Umzüge auf veränderte Lebenssituationen reagieren zu können
Neubauten mit größeren Gebäudetiefen und innenliegenden Erschließungskernen mit angeschlossenen Gemeinschaftsflächen ergeben energetisch günstigere A(ußenwand-)/V(olumen)-Verhältnisse und senken dadurch die Verbrauchskosten
Der Wohnflächenverbrauch pro Person wird reduziert, da gemeinsam genutzte Räume in Summe weniger Fläche benötigen als separat in jeder konventionellen kleineren Wohnung vorgehalten
Der Erschließungsanteil sinkt, da weniger Treppenanlagen benötigt werden
Gemeinschaftsräume wie Bibliotheken, Sporträume oder Werkstätten ermöglichen einen Wohnluxus für alle, der im konventionellen Wohnungsbau nicht möglich wäre
Kosteneinsparungen bei geförderten Bauvorhaben, da nur Teilbereiche der größeren Gemeinschaftswohnungen, nicht jede konventionelle kleinere Wohnung barriererereduziert oder barrierefrei geplant werden muss ( z. B. nur 1 Cluster / 1 Bad pro Wohnung, Gemeinschaftsküchen besitzen aufgrund ihrer Größe automatisch ausreichende Bewegungsflächen…)
Andererseits verteuern sich höherwertig ausgestattete gemeinschaftliche Wohnungen durch die höhere Anzahl vertikaler Installationsschächte der individuellen Nassbereiche und eigenen (Tee-)Küchen – aktuelle Empfehlung: mindestens 6 Stockwerke zur Optimierung des Installationsgrades und der Schachtanzahl realisieren[1]
Gemeinschaftliche Wohnformen bieten Wohngesellschaften die Möglichkeit, vordringlich Wohnungssuchende einzeln und zumindest temporär in funktionierenden Wohngruppen unterzubringen und im Idealfall über den unmittelbaren Austausch sozial zu stabilisieren/integrieren, statt lediglich kleine Wohnungen ohne bzw. mit nur geringer Betreuung bereitstellen zu können
Gemeinschaftliche Wohnformen bieten Möglichkeiten zum unmittelbaren, niederschwelligen kulturellen Austausch und erleichtern es Personen mit migrantischem Hintergrund, schneller in der neuen Umgebung Fuß zu fassen, auch über die eigenen Communities hinaus.
Auch wenn viele dieser Argumente heute noch unrealistisch oder utopisch hinsichtlich Ihrer Akzeptanz wirken, weisen doch die genannten demoskopischen Trendforschungen darauf hin, dass der heute gewohnte Lebensstandard künftig nicht mehr für Alle finanziell erschwinglich sein wird.
Da der Wohnungsbau nur langfristig aufgrund der langen Planungs-, Genehmigungs- und Bauphasen auf neue gesellschaftliche Entwicklungen reagieren kann, erscheint es aus meiner Sicht sinnvoll, jetzt die vorhandenen experimentellen Wohnansätze weiter zu erproben, bekannter zu machen und zu verbessern.
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