2007-03 Rotterdam-Report
Teil 3: Die Niederlande an und für sich…
Dieser Brief hat ja wirklich lange auf sich warten lassen, seit der ersten Ankündigung sind leider glatte 3 Monate vergangen.
Bitte entschuldigt also die vollmundigen Ankündigungen ohne entsprechende Folgen, aber über Weihnachten und Neujahr war ich einfach zu faul, ab Januar bin ich mit ca. 7 vollgepackten Ladungen Golf und einenm 3,5-Tonner über die Wochenenden verteilt umgezogen (die Wohnung in Hamburg ist seit heute nur noch Geschichte), nach 10 Jahren Pause konnte ich mal wieder intensiv an einem Wettbewerb mitarbeiten, d.h. die anschließende und lange geplante Skiurlaubswoche konnte dann unter Stundenausgleich laufen bin und ich bin schon zu zwei Besprechungsterminen nach Leipzig mitgeflogen. Wie man daraus schließen kann, habe ich die Probezeit überstanden und mittlerweile einen Jahresvertrag bekommen.
Holländisch reden kann ich dafür, mal abgesehen von Standardfloskeln wie „Sorry, mar ik kann noch niet goed Nederlands praten“, noch nicht, Lesen oder besser gesagt Zusammenhänge raten klappt schon einigermaßen. Wie es sich für eine ordentlich „fremde“ Sprache gehört, wird vieles völlig anders ausgesprochen als vom Schriftbild her vermutet. Wenn ihr es nicht glaubt, kommt einfach vorbei und testet es aus!
Als kleine Einstimmung dazu habe ich mal unter zwei Rubriken vorläufige Top-10-Listen zusammengetragen:
A: Lustige Ausdrücke:
1.) Benzinepomp (Tankstelle)
2.) pinnen un chippen (mit der Chipkarte Geld abheben)
3.) vierkante meter (m2, ob das auch für Kreise gilt…?)
4.) botsautootje (Autoscooter)
5.) coolkast (Kühlschrank)
6.) knüffelrock (Kuschelrock)
7.) winkelen (einkaufen – auch ohne Haken zu schlagen)
8.) opbellen (anrufen, egal in welcher Lautstärke)
9.)tenissen (Tennis spielen)
10) huren (mieten, aber nicht nur für ein paar Stunden…)
Und wer jetzt den Verdacht hegt, dass ich nur mächtig angegeben habe und das Niederländische eigentlich eine pragmatische und unkomplizierte Sprache ist – hier die
B: „wer hat sich das bloß ausgedacht“- Aufstellung:
1.) moeilijk (schwierig)
2.) tijdelijk (vorübergehend)
3.) smakelijk (guten Appetit)
4.) gemakkelijk (bequem)
5.) lichamelijk (körperlich)
6.) rijbewijs (Führerschein)
7.) vaccinatie (Impfung)
8.) ontbijten (frühstücken – na, wer das „Weichbrot“ hier kennt, weiß, dass von beißen keine Rede sein kann)
9.) tuinieren (im Garten arbeiten)
10.) schreeuw (Schrei – viel Spaß bei der korrekten Aussprache: scharfes s, dann chr und weiches uuh!).
Aber jetzt zu den Bildern „vom Holländer an und für sich“.
– die liberalen Niederlande…
Das Thema hat sich ganz fix erledigt, wenn man versucht, eine Sozialversicherungsnummer zu bekommen. Gleich neben dem Empfangstresen stehen gleich zwei Sicherheitsbeamte, weitere sind an den weiterführenden Flureingängen zu den einzelnen Abteilungen postiert. Das gleiche Bild bietet sich am Eingang zum Einwohnermeldeamt, in der zentralen Halle, beim großen Postamt in der Innenstadt und in Einkaufspassagen. Ob das vor dem Mord am Filmemacher Theo van Gogh auch schon so war? Jedenfalls stand neulich in der Zeitung, dass die Hauptstraße des südlichen Viertels Hillesluis, an der ich die ersten zwei Monate gewohnt habe, ab jetzt komplett videoüberwacht wird, um den Bewohnern ein sicheres Gefühle zu vermitteln…
– die Niederlande und Hasch
Nach den ersten Wochen sollte ich für eine Freundin mal eine Probepackung Haschkekse besorgen. Dafür war ich genau der Richtige, schließlich habe ich damit ganz ehrlich keinerlei Erfahrungen, schließlich habe ich mehr mehrmals mühevoll das normale Rauchen abgewöhnt, da wollte ich lieber keine „Nebenbaustelle“ eröffnen. Also habe ich mal die Kollegen im Büro gefragt. Tja, große Aufregung, jeder konnte und wollte zum Thema mitreden, aber persönliche Erfahrungen oder Adressempfehlungen konnte mir keiner nennen. Nach ca. einer halben Stunde Plausch über die Erfahrungen diverser Freunde und Bekannter kehrte wieder die Arbeitsruhe ein und ich war um den pauschalen Tipp „Coffeeshop“ und die Warnung, ja nicht über die Grenze nach Deutschland mitzunehmen, die Grenzbeamten würde einen dann und gerade dann todsicher anhalten, reicher.
(Ich habe beschlossen, mit dem Schmuggeln zu warten, bis ich niederländische Kennzeichen habe…)
– Multikulti
Von der holländischen Fußball-Nationalmannschaft habe ich gelernt, dass die Hälfte der niederländischen Bevölkerung dunkelhäutig ist, eigentlich aus Surinam stammt und permanent von der „weißen“ Hälfte benachteiligt wird. Komischerweise galt das nicht für unser Büro, denn die beiden einzigen Mitarbeiter mit dunklerer Hautfarbe haben einer eher asiatischen Hintergrund oder stammen wie Ryan gleich mal aus Kalifornien. Also habe ich einige heimische Kollegen danach gefragt, denen das eigentlich noch gar nicht aufgefallen war und die nach einigem Nachdenken zugeben mussten, dass die besseren Jobs in den Niederlanden doch fast ausschließlich durch Europäer besetzt sind. Unsere Putzfrauen tragen übrigens alle Kopftücher. Immerhin sind viele Schalterposten und das Straßenpersonal gemischt besetzt. Interessanterweise sind die „dunkleren“ Bearbeiter durch die Bahn sehr viel gelassener und freundlicher, es geht zwar eher langsamer als bei uns und es kann schon mal vorkommen, dass der Beamte mitten im Bearbeitungsvorgang aufstehen muss, um sich einen Kaffee zu holen, damit es weitergehen kann.
Und während in meinem ersten Stadtteil fast 75 Prozent der Mitbürger dunkelhäutig waren und jeder Jugendliche so tat, als sei er erst vor zwei Tagen aus der Bronx angekommen und eigentlcih Leibwächter eines Gangsta-Rappers, ist es jetzt hier in Kralingen mindestens umgekehrt.
– holländische Autofahrer
Ich habe mir wirklich die Augen ausgeguckt, aber es steht für mich jetzt fest – wenn die Holländer wirklich ein Wohnwagenvolk sind, haben sie die Dinger verdammt gut versteckt!
Dafür sind sie sehr freundlich im Straßenverkehr, viele Passanten habe mir in den ersten Tagen zugewinkt und viele die Lichthupe betätigt, wenn sie mich, oder genauer gesagt mein deutsches Kennzeichen gesehen haben. Soll aber daran liegen, dass sie nur deutschen Touristen Hasch verkaufen wollen. Komisch, in der Zeit, als ich laut obigem Absatz auf der Suche war, gab es leider keine Angebote…
Ansonsten sind holländische Autofahrer ziemlich anlehnungsbedürftig. Vermutlich aus Angst vor der Leere ihres weiten flachen Landes fahren sie auf den Autobahnen immer ganz dicht auf, um nicht allein zurück zu bleiben. Nummernschilder kann man dann nicht mehr erkennen, aber dafür, ob sich der Fahrer rasiert hat…
Dass ändert sich im Stadtverkehr grundlegend. Hier ist auf einmal Zeit vorhanden, die Gedanken schleifen zu lassen, unvermittelt abzubiegen und auch mal in einer einspurigen Straße pro Richtung kurz zu halten, um eine Besorgung zu erledigen. Und wenn dadurch die Straßenbahngleise blockiert werden und der Schaffner wütend klingelt, zieht man halt die Schultern einmal kurz hoch, lässt sich dadurch aber nicht in seinem Tempo beirren.
– holländische Radfahrer
Auch hier ist Holland ein Land der Extreme. Kann sich jemand an den letzten niderländischen Radweltmeister erinnern? Ich jedenfalls nicht, und wenn man sich das Gros der morgendlichen Radler ins Büro mit ihren rostigen Ketten anschaut, wie sie den Kampf gegen den“allgegenwärtigen Gegenwind“(den es eigentlich nur direkt an der Nieuwe Maas gibt) nach dem Motto „der Klügere steigt ab“ aufgeben statt als Herausforderung zu begreifen, glaubt das sofort.
Der Rest fährt dafür original für etwaige Rennen mit irgendwelchen Teamtrikots bekleidet und mit Ersatz-Bürokleidung versehen auf schmalen Rennrädern bei Regen los.
– Ist Holland kalt im Winter?
Anscheinend nicht, gestern am Sonntag Morgen habe ich bei ca. 5 Grad plus und leicht nebligem Wetter eine Radtour (mit Handschuhen) gemacht und feststellen müssen, das beim Tennis die Freiluftsaison schon begonnen hat und dies für einige Niederländer bedeutet, dass man schon im kurzärmeligen Hemd spielen kann. War definitiv kein Einzelfall!
Heute Abend auf dem Heimweg, es war nicht viel wärmer, das gleiche Bild – mehrere Jogger hatten beschlossen, dass jetzt Frühling ist und man gut mit einer kurzen Laufhose auskommt. Wer´s mag….
– Holländer und Schlittschuhlaufen
Hier hört wirklich der Spaß für Niederländer auf. Schlittschuhlaufen ist kein Freizeitvergnügen, sondern ernsthafter Sport. Das wurde uns sofort klar, als wir den Abschlussabend eines argentinischen Kollegen, der jetzt nach Texas wechseln will, auf einer Eislaufbahn feiern wollten. Vorher war noch Training, das heißt die 400m-Bahn war dreireihig von Trainingsgruppen jeden Alters in catsuitartigen Trikots und mit Eisschnelllaufschuhen voll belegt, die in einem Affenzahn über das Eis flitzten. Klappschlittschuhe, die ich bislang nur aus dem Fernsehen kannte, gehörten hier zum guten Ton.
Wir sind vorsichtshalber zur mentalen Vorbereitung erstmal zu MC Donalds umgekehrt.
Zurück zum normalen Freizeittermin stellten wir dann fest, dass der Unterschied zu vorher nur darin bestand, dass nur noch zwei Reihen Trainingsgruppen mit gleicher Ausstattung und gleicher Geschwindigkeit unterwegs waren, der Rand wurde von mehreren Übungsgruppen mit eigenen Trainern belegt.
Anfängern blieb nur die Möglichkeit, über eine hohe Brücke über die eigentliche Lauffläche auf eine Inselfläche in der Mitte auszuweichen, die durch hohe Netze von den Außenbahnen abgetrennt war. Trotzdem hatten wir jede Menge Spass. Ein Sonderlob dabei für unsere Kollegn aus Spanien und Portugal, die begeistert die Herausforderung auf dem unbekannten Untergrund annahmen (auch wenn sie von Zeit zu Zeit dabei pantomisch eine Windmühle darstellen mussten..)
So, mehr fällt mir gerade nicht ein, daher alles Gute, viele Grüße und bis zum nächsten Mal
Dieter